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Buchtip: Nordkorea von innen

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Es war 1991, ganz kurz nach dem Untergang des Kommunismus in Europa, als der gebürtige DDR-Bürger und Koreanologe Rüdiger Frank das erste Mal Nordkorea bereiste, “eine fremde, bizarre, unwirkliche und oft auch frustrierende Welt”, wie er damals notierte. Völlig überzeugt war Frank nach dieser Reise, dass das Ende Nordkoreas nur eine Frage von Monaten sei. Die Wirtschaft des Landes war völlig bankrott, die Repression erdrückend. Warum, so fragte sich der sozialismuserfahrene Frank, sollte die steinzeitkommunistische asiatische Diktatur den Kollaps des Ostblocks um auch nur ein Jahr überleben?

Seither ist fast ein viertel Jahrhundert vergangen und Nordkorea ist noch immer nicht zusammengebrochen, beunruhigt die Welt mittlerweile jedoch mit nuklearen Massenvernichtungswaffen und gilt als der Bösewicht schlechthin in der Staatenwelt des 21. Jahrhunderts – eine Art Jurassic Park der Ideologie.

Warum das so ist, darüber hat Frank, mittlerweile Professor für “Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens” in Wien und wahrscheinlich profundester Kenner des Landes, nun ein sehr informatives Buch geschrieben: “Nordkorea – Innenansichten eines totalen Staates”.

Wandel in Nuancen
Zahllose Reisen hat er seit 1991 in jenes asiatische Herz der Finsternis mit seinen Todeslagern, Atomraketen und tödlichen Christenverfolgungen unternommen. Präziser als die oft holzschnittartigen Berichte der westlichen Medien zeichnet er das Bild eines noch immer bizarren und von einem weltweit einmaligen Führerkult charakterisierten Landes, das sich trotzdem in Nuancen wandelt. So berichtet er von mittlerweile zwei Millionen nordkoreanischen Mobiltelefon-Besitzern, Symbol einer bis vor kurzem noch undenkbaren Art von bescheidener Mittelschicht, die das im Westen verbreitete Bild vom grauen Ameisenstaat leicht relativiert.

Eine Mittelschicht, die Konsequenz einer seit mehreren Jahren betriebenen Politik der sehr vorsichtigen Liberalisierung des lange Jahre hermetisch abgeschlossenen stalinistischen Systems sei, hat Frank beobachtet. “Die Zahl der Autos ist nahezu explodiert. (…) Seitdem die Anzahl der Unfälle, früher eher sagenumwobenes Mittel zur Beseitigung unliebsamer Führungskräfte, sprunghaft gestiegen ist, ist auch das Einschalten der Fahrzeugbeleuchtung verpflichtend geworden.” Auch so kann Fortschritt daherkommen.

Unverdrossen bespitzelt und kontrolliert das Regime trotz der leichten ökonomischen Liberalisierung – jeder Bauer darf 100 Quadratmeter Privatland bewirtschaften – seine Bürger; penibel beschreibt der Autor ein System von Blockwarten, die selbst unangemeldete nächtliche Kontrollen in ihrem Revier vornehmen. Und wenn er notiert, dass die Anzahl der politischen Gefangenen von 200.000 auf “80.000 bis 120.000 zurückgegangen” sein dürfte, dann indiziert das gut, wie relativ die Verbesserung der Menschenrechtslage zu sehen ist.

Bei Themen wie diesem schimmert auch immer wieder die unvermeidliche Grundproblematik des Autors mit dem Gegenstand seiner Forschung durch: Sein beachtliches Fachwissen hätte er nicht ohne zahlreiche Reisen nach Nordkorea erarbeiten können – und diese Reisen sind wohl nur möglich, wenn er die Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht exzessiv betreibt; ab und zu wurde ihm bereits die Einreise verweigert. Es spricht für Frank, dass er im Zweifel spürbar den Fakten mehr verpflichtet ist als der Opportunität des Koreanologen.

Export von Mugabe-Statuen
Vergnüglich lesbar wird sein Buch durch die immer wieder eingestreuten Skurrilitäten Nordkoreas, etwa wenn es beschreibt, wie die “Mansudae”-Kunststudios mit 4000 Mitarbeitern nicht nur den inländischen Bedarf an Statuen der jeweiligen Führer abdecken, sondern mittlerweile auch im Export erfolgreich sind – etwa nach Simbabwe, wohin sie für 150 Millionen Dollar Robert-Mugabe-Statuen liefern.

Etwas überraschend attestiert Frank dem Land das Potenzial, zu einem “nordkoreanischen Tiger” heranzuwachsen, sollte der Übergang vom Steinzeitkommunismus in die Moderne einigermaßen gelingen. Gut ausgebildete und disziplinierte Arbeitskräfte, Löhne deutlich unter dem chinesischen Niveau und eine 1400 Kilometer lange Grenze zum größten Markt der Welt (China) seien ideale Vorrausetzungen für eine derart günstige Entwicklung. Immerhin: Nordkoreanische Tablet-Computer gibt es bereits. (WZ)

 

Nordkorea-Innenansichten eines totalen Staates.

Rüdiger Frank

DVA, 432 Seiten, 20,60 Euro

Beitrag erschien auch auf: ortneronline.at


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